Einem Alkoholiker hat der Alkohol seine Existenz, seine sozialen Beziehungen, sein Leben ruiniert. Als Ausweg aus der Misere braucht er noch mehr Alkohol, damit die Situation erträglich wird. Er hofft auf Veränderungen, die sich schon irgendwie ergeben werden.
Foto: Claudia Freiding
Dem einen oder anderen Ehepaar ergeht es ähnlich. Sie konnten sich gut leiden und haben sich nach dem Motto „klare und feste Beziehungen“ für einen gemeinsamen Weg entschieden. Wenn sich in einer Paarbeziehung die Dynamik einer beidseitigen Weiterentwicklung nicht einstellt und diese zu einer Weiterentwicklung des einen auf Kosten des anderen wird, während der andere immer mehr verliert, so wird das Leben eine frostige Sache. Sie endet nicht selten mit einem totalen Bruch.
Geschäftsbeziehungen haben eigentlich von den vorhin aufgezeigten Dingen auch etwas davon in sich. Klare und feste Beziehungen sind in unserem Obst- und Gemüsehandel die Basis der Erfolgreichsten in der Branche.
Wenn über längere Zeit erfolgreiche Geschäftsbeziehungen beginnen, sich einseitig zu entwickeln, dann passiert meist ein vorgezeichnetes Szenario.
Entweder läuft es wie beim Alkoholiker, der meint, mit noch mehr Nähe zu seinem Handelspartner kann er sich sein Überleben sichern. Er übersieht aber, dass sein Partner gerade dabei ist, sich seine „Melkkuh“ ab zu richten.
Oder es läuft so, dass sich der Benachteiligte seiner Situation bewusst wird und sich zu einer Veränderung aufrafft. In der Paartherapie wissen Experten, dass genau hier die Gefahr am größten ist, von der einen Abhängigkeit in die nächste zu stolpern.
Im Idealfall gelingt der Blick nach vorne. In unserer Branche sieht der Blick der Produzenten nach vorne so aus, dass sie mittlerweile einen stark konzentrierten Lebensmittelhandel vor sich haben.
Durch die extrem schlechte Konjunktur in vielen Sparten der Landwirtschaft sehe ich jetzt beginnende Veränderungen in langjährigen Handelspartnerschaften. Beziehungen werden beendet, die neue Kampagne wird mit neu aufgestellten Partnern geplant. Viele Kollegen, für die eine wirtschaftliche Veränderung überlebensnotwendig ist, haben erkannt, dass sie als Einzelkämpfer auch weiterhin verloren sind. Interessanterweise dringt immer stärker in die Entscheidungsfindung mit ein, dass klare und feste Beziehungen in einer Gruppe gleichgesinnter das Überleben sichern. Diese Erkenntnis gilt nicht nur jetzt, sie war in der Evolution der Menschheit schon immer so.
Fritz Prem 37/2016