85 Prozent der Saisonarbeitskräfte fehlten infolge der Ausbreitung des Corona-Virus und des damit verbundenen Einreiseverbots zum Start der Erntesaison auf den rund 1.000 Sonderkulturbetrieben in Westfalen-Lippe.
Foto © WLV - Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband e. V.
WLV-Präsident Beringmeier: „Ernte ohne osteuropäische Arbeitskräfte unmöglich“
Regulär sind in der Region 25.000 Arbeitskräfte pro Jahr im Einsatz. Sie sind auf den Betrieben befristet angestellt, um saisonal beispielsweise bei Aussaat und Anpflanzung, Ernte und Vermarktung von Obst und Gemüse, sowie im weiteren Jahresverlauf bei der Pflege von Tannenbaumkulturen auf den Höfen mitzuarbeiten.
„Hinter unseren familiengeführten Sonderkulturbetrieben liegen nervenaufreibende Wochen und große Existenzsorgen. Es brauchte viel Organisationstalent, um die Ernte inmitten der Corona-Krise unter den veränderten Rahmenbedingungen sicherzustellen“, sagt Hubertus Beringmeier, Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband e. V. (WLV)-Präsident. Zwischenzeitlich hatten sich auch deutsche Arbeitskräfte, die durch Schließungen von Gastronomie und Einzelhandel in Kurzarbeit waren oder ihre Anstellungen verloren hatten, zur Mitarbeit auf den Sonderkulturbetrieben gemeldet. „Ohne die Hilfe der langjährigen osteuropäischen Arbeitskräfte wäre eine reibungslose Ernte jedoch unmöglich. Die Einrichtung des Portals, um die Einreise der Saisonarbeitskräfte zu ermöglichen, sorgte deshalb für große Erleichterung auf den Betrieben“, so Beringmeier.
Betriebsleiter Johannes Laurenz: Mitarbeiter kommen jedes Jahr wieder
Das bestätigt Landwirt Johannes Laurenz beim gemeinsamen Pressetermin auf seinem Hof in Werne. „Meine Mitarbeiter kommen jedes Jahr wieder zur Spargelernte auf unseren Hof. Hier sitzt jeder Handgriff und die Arbeitskräfte sind eingespielte Teams. Wir haben uns sehr kurzfristig auf die veränderten Rahmenbedingungen eingestellt, um für alle Mitarbeiter den bestmöglichen Gesundheitsschutz im gesamten Betrieb durchgehend zu gewährleisten“, erzählt Johannes Laurenz. „Während wir bei der Direktvermarktung einen guten Zulauf verzeichnen konnten, verbuchen wir bei der Vermarktung an Gastronomie und Großhandel, die auf unserem Betrieb 60 Prozent ausmacht, durch die Gastronomieschließungen herbe Verluste. Etwa 40 Tonnen Spargel bleiben in der Folge ungenutzt“, so Betriebsleiter Johannes Laurenz, der neben Spargel auch eigene Erdbeeren, Zuckermais, Buschbohnen, Zwiebeln und Freilandeier vertreibt.
Für die Sonderkulturbetriebe, die ohnehin hohe Auflagen für die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln berücksichtigen, sind bei der Anreise und Beschäftigung der Saisonarbeitskräfte durch Corona zusätzliche strikte Hygieneregelungen einzuhalten. So dürfen die osteuropäischen Arbeitskräfte aus Infektionsschutzgründen ausschließlich mit dem Flugzeug anreisen. Neben Gesundheitschecks werden von den Betrieben auch in den Unterkünften und während der Erntetätigkeiten besondere Vorkehrungen getroffen, um den Gesundheitsschutz von Mitarbeitern und Bevölkerung und die Sicherung der Ernten gleichermaßen sicherzustellen.
Derzeit rund 10.000 Saisonarbeitskräfte auf Höfen in Westfalen-Lippe
„Derzeit sind rund 10.000 Saisonarbeitskräfte auf den Höfen in Westfalen-Lippe im Einsatz, einige werden im weiteren Jahresverlauf noch hinzukommen. Sie sind auf den Betrieben für bis zu drei bzw. in diesem Jahr bis zu fünf Monate festangestellt und in dieser Zeit privat krankenversichert“, sagt Marion von Chamier, Geschäftsführerin des Westfälisch-Lippischen Arbeitsgeberverbandes (WLAV). Durch die Mehrkosten für Anreise, Unterbringung und Umsetzung der hygienischen Anforderungen entstehen Schätzungen des WLAV zufolge Mehrkosten in Höhe von rund 1.000 Euro pro Arbeitskraft, die in der Regel von den Betrieben getragen werden. „Auf die veränderten Rahmenbedingungen haben sich die Betriebsleiter individuell versucht einzustellen. Mancher Betriebsleiter hat deshalb in diesem Jahr auf die volle Zahl der sonst üblichen Arbeitskräfte verzichtet, andere haben einen besonderen Fokus auf die Direktvermarktung gelegt“, erörtert Marion von Chamier.
„Insbesondere die Gemüseernte ist stark von der Nachfrage der Kunden abhängig und saisonal begrenzt. Eine ganzjährige Anstellung der Mitarbeiter ist daher nicht möglich, sie ist von den Saisonarbeitskräften aber auch nicht erwünscht. Die Beschäftigten verdienen durch die Saisonarbeit in kurzer Zeit einen hohen Verdienst aus Mindestlohn und Akkordlohn, der in ihren Heimatländern mitunter ein Jahresgehalt darstellt“, erörtert Heinrich Wilhelm Tölle, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes (WLAV). „Für die Sonderkulturbetriebe sind die langjährigen Arbeitskräfte unverzichtbar. Es herrscht großes Vertrauen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Das unterscheidet sie von manch anderer Branche“, so Tölle.
WLV-Präsident Beringmeier: "Regionale Landwirtschaft durch den Einkauf vor Ort stärken"
„Die Direktvermarktung spielt durch die Nähe zum Ruhrgebiet für unsere Betriebe eine zentrale Rolle. Durch Corona ist die Regionalität der Lebensmittel wieder mehr in den Fokus gerückt. Wir wünschen uns, dass dies auch nach Corona weiter so bleibt“, sagt Hans-Heinrich Wortmann, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Ruhr-Lippe. „Regionale Landwirtschaft ist gesellschaftlich gewünscht. Der hiesige Anbau von Spargel, Erdbeeren, Himbeeren, Äpfeln, Kartoffeln und Co. hat eine zentrale Bedeutung: Die Lebensmittel überzeugen durch Regionalität und Geschmack, sie werden feldfrisch an die Kunden vor Ort verkauft. Um die Betriebe zu stärken, werbe ich für den Einkauf beim Landwirt vor Ort. Weiterhin ist es für die Betriebe enorm wichtig, dass die Einreise der Saisonarbeitskräfte auch in den kommenden Wochen möglich ist“, macht WLV-Präsident Hubertus Beringmeier deutlich. Er hatte sich, gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband der Westfälisch-Lippischen Land- und Forstwirtschaft e.V. (WLAV), in den vergangenen Tagen und Wochen in Gesprächen mit der Politik immer wieder dafür stark gemacht, dass die langjährigen Saisonarbeitskräfte wieder einreisen können.
Quelle: WLV - Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband e. V.
Veröffentlichungsdatum: 05. Juni 2020