Die Bundesregierung legt in Kürze einen Gesetzesentwurf vor, um die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken umzusetzen. Ein breites Bündnis von 49 Organisationen aus dem Umwelt-, Entwicklungs-, Landwirtschafts- und Lebensmittelbereich fordern mehr Fairness im Lebensmittelhandel.
Cover Positionspapier "Für mehr Fairness im Lebensmittelhandel". Quelle: www.forum-fairer-handel.de
Der angekündigte Gesetzentwurf muss die Einkommenssituation von Erzeugerinnen und Erzeugern und den Lebensstandard der ländlichen Bevölkerung verbessern – in Deutschland, der EU und weltweit. „Verkaufspreise dürfen nicht die Produktionskosten innerhalb der Lieferkette unterbieten“, fordert das Bündnis übereinstimmend in dem heute veröffentlichten Positionspapier „Für mehr Fairness im Lebensmittelhandel“. Alle Beteiligten sind sich einig, dass die EU-Richtlinie ein zentrales Instrument gegen die desaströse Billigpreispolitik im Lebensmittelhandel ist und die Bundesregierung den Verkauf von Lebensmitteln zu Dumpingpreisen verbieten muss. Ebenso fordern sie die Einrichtung einer Preisbeobachtungsstelle und einer Ombudsstelle.
Mit Blick auf die vorherrschenden Marktmechanismen betont Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Der Markt und der ungezügelte Wettbewerb dürfen nicht länger ländliche Strukturen ruinieren und Lebensmittel verramschen. Unternehmerische Freiheit endet dort, wo durch unlauteres Geschäftsgebaren bewusst Existenzen von bäuerlichen Betrieben, mangelhafter Umwelt- und Klimaschutz sowie der Verlust der Artenvielfalt in Kauf genommen werden. Jetzt ist der Gesetzgeber gefragt, denn Freiwilligkeit reicht nicht aus.“
Die Lebensrealität für viele Produzenten von Lebensmitteln, besonders entlang der Lieferketten, ist ein täglicher Überlebenskampf. Die Erzeugerpreise decken vielfach nicht die Produktionskosten und Arbeiterinnen und Arbeiter, zum Beispiel in der Fleischindustrie oder im Bananensektor, erhalten keine existenzsichernden Löhne. Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei Oxfam kritisiert, dass weiterhin der Verkauf von Lebensmitteln zu Dumpingpreisen möglich ist: „Das führt zu Hungerlöhnen und treibt Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in den Ruin. In Ecuador ist die Zahl der Bananen-produzierenden Familienbetriebe im Zeitraum von 2015 bis 2018 um 60 Prozent gesunken. Die Einkommen von Bananenarbeitern sind mehrheitlich unterhalb der nationalen Armutsgrenze – ihre Gehälter sind nicht existenzsichernd. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, den Verkauf von Lebensmitteln zu Dumpingpreisen im neuen Gesetz zu verbieten.“
Auch die Mehrzahl der Kakaobauern und -bäuerinnen weltweit haben keine existenzsichernden Einkommen. „Seit 20 Jahren beteuert die Schokoladenindustrie ausbeuterische Kinderarbeit im Kakaoanbau zu beenden und ist bis jetzt gescheitert. Ohne ein Ende des Preiskampfes und damit besseren Einkommen für Kakaobauern und -bäuerinnen wird sich daran nichts ändern“, kritisiert Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel.
Preis- und Kostentransparenz sind zentral für eine funktionierende Lebensmittelversorgungskette. Eine unabhängige Preisbeobachtungsstelle soll diese ermöglichen und Richtwerte für kostendeckende Mindestpreise ermitteln. „Wir müssen über kostendeckende Preisgestaltung in der gesamten Wertschöpfungskette reden und das heißt faire Einkommen in der gesamten Kette: vom Landwirt über die Verarbeiterin bis zur Verkäuferin im Handel", fordert Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik bei Bioland. „Bäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger, auch im Biobereich, zahlen oft drauf, wenn Lebensmittel wie Fleisch oder Milch zu Dumpingpreisen verkauft werden. Bislang gibt es aber keine Stelle, an die sie sich wenden können, wenn Dumpingpreise gezahlt werden. Eine unabhängige Ombudsstelle kann hier Abhilfe schaffen und Produzenten wie auch Arbeitnehmern endlich ein Instrument an die Hand geben, ihre Rechte einzufordern und Beschwerden einzureichen.“
Eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland wünscht sich mehr Fairness im Lebensmittelhandel. Laut ARD-DeutschlandTrend vom 6. Februar 2020 befürworten 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ein Verbot des Verkaufs von Lebensmitteln unterhalb der Herstellerkosten, das heißt sie befürworten ein Verbot von Dumpingangeboten. „Die Bundesregierung wird auf breite Zustimmung in der Bevölkerung treffen, wenn sie jetzt konsequent für Fairness im Handel sowie für lokal und global gerechte Preise und existenzsichernde Einkommen für Erzeugerinnen und Erzeuger und Arbeiterinnen und Arbeiter sorgt“, bestätigt Gundula Oertel, Sprecherin des Ernährungsrates Berlin. Dies könne auch zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt für den klima- und sozial gerechten Umbau vom Hof bis zum Teller werden. „In Zukunft sollte kein Unternehmen reich werden dürfen, indem es Erzeugerinnen und Erzeuger im Preis drückt und Menschen als Lohnsklaven ausbeutet“, so Oertel.
Abschließend fordert das Bündnis die Bundesregierung auf, das Bundeskartellamt als Durchsetzungsbehörde festzulegen und ein umfassendes Verbot von unlauteren Handelspraktiken einzuführen. Mit einer 1:1-Umsetzung, wie bislang von der Bundesregierung geplant, würden die angestrebten Ziele nicht erreicht und die enorme Verhandlungsmacht der marktmächtigen Akteure in der Lebensmittelversorgungskette bliebe unangetastet.
Mehr Informationen:
Das Positionspapier „Für mehr Fairness im Lebensmittelhandel“ finden Sie unter: www.forum-fairer-handel.de/presse
Veröffentlichungsdatum: 03. Juli 2020