Die landwirtschaftliche Branche sieht die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten hin zu mehr pflanzlichen und weniger tierischen Produkten oftmals kritisch. Dabei könnte eine zunehmend pflanzenbasierte Ernährung die landwirtschaftlichen Einkommen in Europa durchaus erhöhen – und das selbst in Ländern, in denen heute die Tierhaltung den größten Teil der Einkommen ausmacht.
Eine stärker pflanzenbasierte Ernährung hat positive Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Foto © Thünen-Institut/Christina Waitkus
Diese Regionen würden allerdings zwischenzeitlich erheblich betroffen sein und bräuchten für den Transformationsprozess Unterstützung. Das ist das Ergebnis einer Studie des Thünen-Modellverbunds, die in der Fachzeitschrift Journal of Agricultural Economics erschienen ist.
Verschiedene Annäherungen an eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung mit moderatem Konsum an Fleisch und Milchprodukten – auch bekannt als Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission – wurden für die EU modelliert. Dabei wurde unterstellt, dass die Konsument*innen von sich aus, d. h. ohne politische Eingriffe, ihre Ernährung ändern. In der weitreichendsten Ernährungsumstellung könnten demnach die landwirtschaftlichen Einkommen in Deutschland auf längere Sicht (Betrachtungsjahr 2050) bis zu 20 Prozent steigen, auf der EU-Ebene sogar bis 70 Prozent. „Dieser positive Effekt lässt sich auf eine starke Nachfragesteigerung bei Obst und Gemüse und ein damit verbundenes hohes Preisniveau bei diesen Produkten zurückführen“, sagt Dr. Jörg Rieger vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft in Braunschweig, einer der Autoren der Studie. „Unsere Berechnungen ergeben: Bei Betrieben, die Obst und Gemüse produzieren, entsteht eine deutlich höhere Wertschöpfung pro Hektar Anbaufläche.“
Langfristig können auch Länder mit intensiver Tierhaltung profitieren
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass es dabei sehr stark auf die regionale und betriebliche Struktur der Landwirtschaft ankommt. Länder mit hohen Investitionen in die Tierhaltung können nicht sofort in neue Wirtschaftszweige investieren und erleiden Verluste durch geringere Preise. Deutschland gehört zu diesen Ländern – die Landwirtschaft würde laut den Autoren kurz- bis mittelfristig Einkommenseinbußen von circa 12 Prozent erfahren. Rinderhaltende Betriebe in Norddeutschland wären mit Einkommenseinbußen um bis zu 50 Prozent am stärksten betroffen. „Andererseits könnten deutsche Gemüsebetriebe bis zu 50 Prozent an zusätzlichem Einkommen erhalten“, so Dr. Florian Freund, Co-Autor aus dem Thünen-Institut für Marktanalyse. Langfristig, wenn die Strukturen optimal an die neuen Ernährungsgewohnheiten angepasst sind, können aber auch die ehemals auf Tierbestände spezialisierten Länder von einer Umstellung auf pflanzliche Produkte profitieren, so das Autoren-Team.
Da eine Umstellung der Ernährung mit positiven Gesundheits- und Umwelteffekten verbunden ist, sollte die Politik dies mit einem entsprechenden Maßnahmenmix fördern und den Transformationsprozess gestalten, schlussfolgert die Studie. Die Anpassungskosten könnten durch den Abbau rechtlicher Hürden und die Bereitstellung finanzieller Unterstützungen für die Einführung neuer Produktionssysteme gesenkt werden. Soziale Auswirkungen in den am stärksten betroffenen Regionen könnten u.a. durch die Unterstützung von Umschulungen oder die Bereitstellung zeitlich begrenzter Einkommensbeihilfen für besonders belastete Betriebe abgefedert werden.
Landwirt*innen seien jedenfalls gut beraten, die Trends im Ernährungsverhalten genau im Blick zu behalten, betonen die Autoren der Studie.
Hintergrund: Der Thünen-Modellverbund besteht aus Wissenschaftler*innen aus verschiedenen agrar-sozioökonomischen Instituten des Thünen-Instituts und beschäftigt sich vorrangig mit Fragestellungen, wie sich Änderungen der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen auf die Landwirtschaft, die Agrarmärkte und die Umwelt auswirken. Die nun veröffentlichte Studie basiert auf ökonomischen Modellen des Thünen-Modellverbunds, die auf unterschiedliche Entscheidungsebenen (z. B. Betriebs-, Regional-, Sektorebene) und regionale Einheiten ausgerichtet sind.
Quelle: Johann Heinrich von Thünen-Institut
Veröffentlichungsdatum: 24. Februar 2023