Liebe Bäuerinnen und Bauern, das zurückliegende Jahr war herausfordernd. Neben dem noch immer andauernden russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind überall auf der Welt alte und neue Krisenherde aufgeflammt, die uns alle tagtäglich beschäftigen. Gleichzeitig sehen wir, dass unser demokratisches Selbstverständnis nicht nur global, sondern auch in einigen europäischen Staaten ernsthaft ins Wanken gerät.
Rukwied Joachim Präsident Deutscher Bauernverband Foto © DBV / Breloer
Wir stehen an einem Kipppunkt. Dies wird sich möglicherweise in diesem Jahr auch in den Wahlkabinen mehrerer Bundesländer sowie bei der Europawahl zeigen. Als überzeugte Europäer und Demokraten gilt es angesichts dessen, zusammenzustehen, für unsere Werte einzutreten und sich klar von jeglicher Radikalisierung abzugrenzen. Gleichzeitig braucht es eine Politik, die Vorschläge aus der Praxis aufgreift und diese Expertise vermehrt in die Gesetzgebung einfließen lässt. Nur so können wir mit praxistauglichen Maßnahmen Zukunft gestalten und nur so können Landwirtinnen und Landwirte – aber letztendlich auch alle Bürgerinnen und Bürger – wieder Vertrauen in die Politik gewinnen.
Von Krisen geprägte Halbzeitbilanz der Ampel-Koalition
Der Jahreswechsel markiert die Halbzeit der Ampelkoalition. Zieht man eine Bilanz dieser zwei Jahre, so drängt sich größtenteils Ernüchterung auf. Anstatt des angekündigten Fortschritts stolpert die Bundesregierung lediglich von einer Krise in die nächste. Ende 2023 fand diese Ansammlung an Krisen dann ihren vorläufigen Gipfel in der Haushaltskrise. Der Vorschlag, die Agrardiesel-Rückerstattung und die Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge zu streichen, ist vollkommen inakzeptabel. Gerade in Zeiten, die ohnehin schon enorm herausfordernd sind, wäre dies eine unzumutbare Belastung für uns Bauernfamilien. Darauf haben wir als Deutscher Bauernverband gemeinsam mit den Landesbauernverbänden und Verbündeten aus der Agrarwirtschaft sowie befreundeten Branchen in aller Deutlichkeit auch bei einer Großdemonstration Mitte Dezember hingewiesen. Der große Zuspruch – sowohl von den eigenen Berufskollegen als auch aus der gesamten Gesellschaft heraus – zeigt, dass politisch nun dringend gehandelt werden muss und diese Pläne vom Tisch genommen werden müssen. Denn gerade in unsicheren Zeiten ist unsere Branche ein wesentlicher Grundpfeiler für Wohlstand sowie Stabilität und darf nicht in ihrem Kern erschüttert werden. Mit einer Aktionswoche ab dem 8. Januar und einer weiteren Kundgebung in Berlin setzen wir unseren Widerstand im neuen Jahr fort.
Umbau der Tierhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Baustellen gab es im agrarpolitischen Tagesgeschäft aber auch vor den aktuellen Haushaltsplänen mehr als genug. Die Ampel-Koalition läuft derzeit Gefahr, die Fehler der Vorgängerregierung zu wiederholen. Wer hier nicht handelt, gefährdet nicht nur die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland, sondern auch das gewünschte hohe Tierwohl. Der Umbau der Tierhaltung hin zu noch mehr Tierwohl ist politisch sowie gesellschaftlich gewünscht und auch die tierhaltenden Betriebe sind grundsätzlich bereit, ihre Ställe umzubauen. Finanziell honorieren wollen dies aber weder die Verbraucher noch die Bundesregierung. Zwar wurden erste Bausteine im zurückliegenden Jahr gesetzt, ein vollumfängliches und sich schlüssig zusammenfügendes Gesamtprojekt steht jedoch nach wie vor aus. Unsere Forderungen sind weiterhin aktuell: In erster Linie braucht es ein verbindliches und tragfähiges Finanzierungskonzept! Nach den lange von uns geforderten Anpassungen im Baurecht, braucht es nun zügig auch ein entsprechend angepasstes Immissionsschutzrecht, damit Tierwohlställe überhaupt gebaut werden können. Zudem bedarf es einer vollumfänglichen Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung, damit die Verbraucher Transparenz beim Einkauf haben – auch hier muss noch nachgebessert werden.
Ambitionierter Klimaschutz: wichtiger denn je
Der Klimawandel mit seit Jahren zunehmenden Extremwetterereignissen und schwierigen Witterungsbedingungen belastet unsere Branche stark. Hier muss dringend gehandelt werden. Die Landwirtschaft ist bereit, bspw. über erneuerbare Energien und Carbon-Farming noch mehr zum Klimaschutz beizutragen. Auch wirtschaften wir bereits jetzt im globalen Vergleich äußerst klimaschonend. Diese Klimaschutzdienstleistungen müssen aber auch entsprechend vergütet werden. Gleichzeitig braucht es neben wirkungsvollen Klimaschutzmaßnahmen zügig Lösungen, wie wir uns besser an die klimatischen Veränderungen anpassen können. Hier ist auch die Politik gefragt. Offenheit gegenüber modernen Züchtungsmethoden und digitalen Innovationen sowie eine gezielte Agrarforschung sind wichtige Bausteine auf diesem Weg. Zu wenig Beachtung findet indes die Gefahr einer Verlagerung unserer klimaschonenden heimischen Erzeugung in Drittländer – damit wäre weder dem Klima- noch dem Umweltschutz geholfen. Hier braucht es einen CO2-Grenzausgleich nicht nur für Industriegüter, sondern auch für Agrarerzeugnisse. Darüber hinaus haben wir uns bereits 2021 dafür ausgesprochen, Ernährungssicherung und Klimaschutz als Staatsziele im Grundgesetz zu verankern – im Lichte der Ereignisse der vergangenen Jahre, die uns gezeigt haben, dass Ernährungssicherheit niemals als selbstverständlich angesehen werden darf, hat diese Forderung nochmals an Bedeutung gewonnen.
Ernährungssicherung muss als oberste Prämisse gelten
Das Jahr 2023 brachte aber auch Erfolge. So wurden auf europäischer Ebene Pauschalverbote und praxisferne Vorgaben beim Pflanzenschutz, die die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe gefährdet und die sichere Versorgung mit heimischen Lebensmitteln massiv reduziert hätten, von einer Mehrheit der EU-Abgeordneten klar abgelehnt. Dass hier endlich Fakten über Ideologie gestellt wurden, stimmt positiv. Auch konnten wir auf EU-Ebene das sogenannte Nature Restoration Law abschwächen und damit dafür sorgen, dass dieses nicht zum Landwirtschaftsverdrängungsgesetz wurde. Wir Landwirte setzen weiterhin auf die Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Landwirtschaft und werden das Ziel, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter zu reduzieren, nach wie vor verfolgen. Entscheidend ist jedoch, dass dabei Ernährungssicherung als oberste Prämisse gilt und diese Maßnahmen kooperativ und produktionsintegriert angegangen werden. Kooperative Länderansätze für den Natur- und Artenschutz, wie beispielsweise das Biodiversitätsstärkungsgesetz in Baden-Württemberg, zeigen, dass Naturschutz und Landwirtschaft Hand in Hand gehen können.
Planungsunsicherheit stärkt Vertrauensverlust
Glücklicherweise standen unsere Betriebe trotz der großen Herausforderungen im vergangenen Jahr durchschnittlich auf wirtschaftlich standfesten Beinen. Die Unternehmensergebnisse weisen für das zurückliegende Jahr eine positive Entwicklung aus. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die Preise bereits wieder im Sinkflug sind und die extreme Volatilität an den Märkten auch weiterhin eine Herausforderung bleibt, auf die es sich einzustellen gilt. Besonders fatal ist zudem, dass die Betriebe kaum mehr investieren – ein weiteres deutliches Zeichen, dass Planungssicherheit und Vertrauen in die Politik zunehmend fehlen. In der jetzigen Situation den Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung zu streichen, würde den Vertrauensverlust in die Politik nur noch weiter verstärken.
Ohne die junge Generation geht’s nicht
Letztendlich müssen sich aber nicht nur die politischen Rahmenbedingungen ändern, auch der Verband selbst wird sich weiterhin wandeln. Wenn wir über Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft sprechen, darf eines nicht fehlen: junge Menschen. Wir brauchen nicht nur motivierte Hofnachfolgerinnen und Hofnachfolger in unserer Branche, sondern dringend auch mehr junge Unternehmerinnen und Unternehmer in unserer Verbandsfamilie. Ich bin davon überzeugt, dass die Sichtweise junger Menschen unsere Arbeit bereichert und in jede unserer Positionen und Entscheidungen einfließen muss. Deshalb arbeiten wir zunehmend daran, unsere Verbandsarbeit – die oft mit einem langen Atem verbunden ist – interessanter und partizipativer für die junge Generation zu gestalten. Ich möchte alle jungen Landwirtinnen und Landwirte ausdrücklich ermutigen, sich im Verband zu engagieren und so ihre Zukunft in der Landwirtschaft aktiv mitzugestalten.
Wegweisende politische Positionierungen brauchen auch den Blickwinkel von Frauen
Auch brauchen wir mehr Frauen im Bauernverband, die sich agrarpolitisch einbringen. Die Expertise und der Blickwinkel von Landwirtinnen sind nicht nur auf den Betrieben essenziell, sondern auch in unserem Verband. Deshalb haben wir bereits Anfang Dezember 2021 eine wichtige Strukturveränderung im DBV auf den Weg gebracht, die im zurückliegenden Jahr weiter ausgebaut wurde. Unter dem Titel „Kompass“ hat unsere Geschäftsstelle ein Mentoring-Programm für Frauen in der Landwirtschaft auf die Beine gestellt, das den Einstieg in die Verbandsarbeit erleichtert und Frauen für Führungspositionen in der Landwirtschaft und im Verband begeistern soll. Das große Interesse an unserem Mentoring-Programm bestätigt: Wenn man Frauen sucht, die sich verbandspolitisch einbringen wollen, dann findet man sie auch! Aber auch darüber hinaus hoffe ich, dass wir zunehmend Frauen für die Verbandsarbeit gewinnen können. Ziel muss es sein, dass bei all unseren wegweisenden politischen Positionierungen auch der Blickwinkel von Frauen mit einfließt. Sowohl der Bauernverband als auch die Landwirtschaft im Allgemeinen brauchen das!
Als ZukunftsBauern Veränderung gestalten
Veränderung und Weiterentwicklung begleitet die Landwirtschaft seit jeher – und betrifft auch keineswegs die Landwirtschaft als einzige Branche, sondern die gesamte Gesellschaft. Auch wenn die Herausforderungen und Unsicherheiten groß sind, wollen wir als Bauernverband diesen stetigen Wandel mitgestalten. Unser Antritt ist, dies gemeinsam mit viel Innovationsmut und Unternehmergeist als „ZukunftsBauern“ anzupacken – und nicht in Form einer von oben verordneten „Transformation“. Ein Mehr an gesellschaftlichen Leistungen muss sich natürlich auch in der Wertschöpfung unserer Betriebe wiederfinden. Zum Beispiel in Form neuer Geschäftsfelder in der Energieerzeugung oder beim Artenschutz. Hier ist es unser aller Aufgabe, dies noch besser nach außen zu kommunizieren und mit Selbstbewusstsein zu zeigen, was wir Bauernfamilien Tag für Tag leisten. Die Landwirtschaft wünscht sich zurecht seit Jahren mehr Verständnis und Wertschätzung für ihre Arbeit. Um ebendiese zu schaffen, müssen wir in den Dialog treten und uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen einbringen.
Von einem bin ich fest überzeugt: Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Zukunft in unserem Sinne zu gestalten und gleichzeitig Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Denn ohne uns Landwirtinnen und Landwirte geht es nicht.
Für das Jahr 2024 wünschen ich Ihnen allen Gesundheit und viel Erfolg.
Quelle: Deutscher Bauernverband e.V.
Veröffentlichungsdatum: 04. Januar 2024