Extreme Witterungsverhältnisse, hoher Kostendruck, inflationsbedingt verunsicherte Verbraucherinnen und Verbraucher: Die genossenschaftliche Obst- und Gemüsewirtschaft in Baden-Württemberg schaut auf ein Jahr mit ungemein schwierigen Rahmenbedingungen zurück.
Insbesondere die herausfordernde Ertragslage macht den Erzeugerbetrieben zu schaffen. „Auch wenn die Verbraucherpreise gestiegen sind, bei den Erzeugerinnen und Erzeugern kommt davon – wenn überhaupt – nur ein geringer Teil an“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV).
Bei der Jahrespressekonferenz der baden-württembergischen Obst-, Gemüse- und Gartenbaugenossenschaften macht Theileis deutlich: „Die massiv gestiegenen Betriebskosten können von den Erzeugerinnen und Erzeugern nicht durch höhere Erlöse kompensiert werden. Die Lage ist angespannt.“
Unverändert belasten die hohen Energiepreise, die gestiegenen Betriebsmittelkosten, die Kosten für Transport und Verpackung, ein großer Bürokratieaufwand sowie die Lohnsteigerungen die heimische Produktion. „Erstmalig kam 2023 für eine gesamte Saison auch der gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro zum Tragen. Gerade im arbeitsintensiven Sonderkulturanbau ist dies ein wesentlicher Kostenfaktor“, erklärt Theileis und weist darauf hin. „Mit der Anhebung des Mindestlohns zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro wird sich die Kostensituation in diesem Jahr weiter verschärfen. Hinzu kommen höhere Belastungen durch Maut und CO2-Preis.“
Der BWGV-Präsident steht ausdrücklich hinter der Erhöhung des Mindestlohns für ausgebildete Fachkräfte. Er sieht es jedoch kritisch, dass die Betriebe auch ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern und somit Saisonkräften aus dem EU-Ausland den erhöhten Stundensatz bezahlen müssen. Theileis: „Dies führt ebenso wie unterschiedliche Standards etwa bei Umwelt- und Klimaschutzauflagen zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Produktionsländern für Obst und Gemüse innerhalb und außerhalb der EU.“ Die Politik müsse sicherstellen, dass die heimischen Erzeuger und Genossenschaften nicht benachteiligt werden – insbesondere vor dem Hintergrund der inflationsbedingt hohen Preissensibilität der Verbraucher. „Regionale Produktion braucht faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber importierten Lebensmitteln. Sonst drohen Betriebsaufgaben und eine weitere Verlagerung der Produktion ins Ausland, mit allen ökonomischen wie auch ökologischen Auswirkungen“, mahnt der BWGV-Präsident.
Studie: Landwirtschaft ist kein Inflationstreiber
In diesem Zusammenhang sieht Theileis auch den Lebensmitteleinzelhandel und die Verbraucher in die Pflicht. „Wer mit regionalen Produkten wirbt, muss diesen auch entsprechenden Platz und Visibilität bei der Belegung der Regale geben. Unsere baden-württembergischen Produzenten brauchen ein klares und sichtbares Bekenntnis des Handels zu heimischen Produkten. Dazu zählen auch faire Einkaufspreise“, stellt der BWGV-Präsident heraus. Er verweist auf die aktuelle Studie des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums vom Januar 2024, die unzweideutig herausstellt: Die Landwirtschaft ist kein Inflationstreiber. „Der Anteil des Erzeugerpreises am Verbraucherpreis liegt beim Apfel gerade einmal bei 30 Prozent“, zitiert Theileis ein Beispiel aus der Studie. Bei verarbeiteten Produkten wie etwa Brot liegt der Anteil laut der Studie sogar bei unter fünf Prozent.
Theileis: „Es darf nicht darum gehen, dass man innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette gegenseitig mit dem Finger auf sich zeigt und nach Schuldigen sucht. Vielmehr braucht es eine faire Verteilung der Verkaufserlöse am Point of Sale, die es allen ermöglicht, wirtschaftlich solide zu arbeiten und Investitionen aus eigener Kraft zu stemmen.“ Er ergänzt: „Niemand und insbesondere nicht die Obst- und Gemüsewirtschaft möchte dauerhaft auf Subventionen zum Ausgleich des Wettbewerbsnachteils angewiesen sein. Alle genossenschaftlichen Betriebe streben insofern ein rein marktwirtschaftlich erwirtschaftetes auskömmliches Ergebnis an.“
Hierzu ist auch Wertschätzung und bewusstes Konsumieren seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher notwendig. Theileis: „Der Konsument hat es selbst in der Hand, ob er beispielsweise zu einem Apfel vom Bodensee greift oder Flugobst aus dem Ausland kauft.“ Daher begrüße der BWGV auch das neue Herkunftszeichen Deutschland, das seit Ende 2023 unter dem Slogan „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“ schnelle Orientierung beim Einkauf gebe.
Mengen- und Umsatzplus bei Obst, Gemüse auf Vorjahresniveau
Und das Angebot heimischer Produkte ist vorhanden, wie die Bilanz des Jahres 2023 zeigt: Insgesamt 405.000 Tonnen Obst und Gemüse haben die genossenschaftlichen Erzeugermärkte inklusive ihrer Vertriebsgesellschaften 2023 vermarktet – ein Plus von rund 36.000 Tonnen oder knapp zehn Prozent. Der Gesamtumsatz der genossenschaftlichen Erzeugergroßmärkte und ihrer Vertriebsgesellschaften belief sich auf 489 Millionen Euro, ein Plus von knapp 19 Millionen Euro oder vier Prozent. Das Mengenwachstum resultiert nahezu ausschließlich aus der Obstvermarktung: 279.000 Tonnen wurden vermarktet. Die Obstumsätze lagen 2023 bei 232 Millionen Euro.
Nahezu identisch blieben die Vermarktungsmengen und der Umsatz der genossenschaftlichen Gemüsewirtschaft: Insgesamt wurden rund 126.000 Tonnen vermarktet. Der Umsatz lag etwa auf Vorjahresniveau von 256 Millionen Euro. Die Erzeugergenossenschaften sind mit der Ernte und insbesondere mit den Qualitäten im Jahr 2023 zufrieden, wobei Absatzbemühungen bei höherpreisigen Artikeln aus dem Regional- oder Biosortiment schwieriger waren. Nachdem aufgrund der unsicheren Energielage im Jahr 2022 vereinzelt Flächen nicht belegt wurden, wurde 2023 wieder die gesamte Anbaufläche genutzt. Neben dem klassischen Sortiment erzielen die Gemüse-Genossenschaften auch vermehrt gute Erfolge mit Produktinnovationen wie Miniwassermelonen, Süßkartoffeln, Kurkuma oder Zitronengras.
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Sehr geringe Apfelernte 2023
Nach vorläufigen, noch nicht vollständigen Zahlen für das Jahr 2023 entspricht die Vermarktungsmenge bei den Äpfeln in etwa der Menge des Vorjahrs (195.000 Tonnen), und auch die Umsätze liegen voraussichtlich auf dem Niveau des Jahres 2022 (87,3 Millionen Euro). Die baden-württembergische Apfelernte 2022, die für die Vermarktung im Jahr 2023 entscheidend ist, fiel mit rund 374.000 Tonnen zufriedenstellend aus und lag etwa 30.000 Tonnen über der Ernte des Jahres 2021. Im Jahr 2023 haben die Bäuerinnen und Bauern dagegen im Südwesten nur eine Ernte von rund 314.000 Tonnen eingeholt – ein Minus von 16 Prozent gegenüber 2022. Bundesweit zählt die Apfelernte 2023 (940.000 Tonnen, minus 12 Prozent) zur drittkleinsten der vergangenen zehn Jahre – die Menge aus Baden-Württemberg macht etwa ein Drittel der gesamten deutschen Apfelernte aus. Nasse und kalte Witterung in der Blütephase hat sich negativ auf die Bestäubung ausgewirkt. Hinzu kamen vereinzelt Frostschäden. Im Frühsommer einsetzende Hitze und Trockenheit wirkten sich zusätzlich belastend aus, es kam zu Trockenstress und Sonnenbrand. Lokale Hagelereignisse taten ein Übriges.
„Da die Äpfel bis zur Ernte des kommenden Jahres vermarktet werden, wird sich der geringe Ertrag des Jahres 2023 auf die Bilanz des laufenden Jahres auswirken“, erklärt Theileis. Aktuell sind die Lager etwa um ein Viertel weniger gefüllt als zum Vorjahreszeitpunkt. Daher richtet sich der Blick auf einen hoffentlich guten Vegetationsverlauf im Jahr 2024 – und eine gute Ernte. Dies gilt umso mehr, da die Anbaufläche in Baden-Württemberg für der Deutschen liebstes Obst tendenziell rückläufig ist. Im vergangenen Jahr hat sie um rund sieben Prozent abgenommen. Theileis: „Viele Erzeugerinnen und Erzeuger haben Konsequenzen aus den wirtschaftlich schwierigen Bedingungen gezogen.“
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39 Prozent mehr Zwetschgen
Erfreuliche Vermarktungsmengen sind bei den Zwetschgen zu verzeichnen: Sie fiel um 39 Prozent größer aus und betrug 2023 rund 11.800 Tonnen (Vorjahr 8.500 Tonnen). Der Umsatz erhöhte sich um 16 Prozent von 8,9 Millionen Euro auf 10,3 Millionen Euro. Der Kilopreis reduzierte sich von 1,04 Euro auf 0,87 Euro.
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Erdbeeren: ausgewogenes Angebot-Nachfrage-Verhältnis
Bei den Erdbeeren haben sich nach einem sehr schwachen Jahr 2022 Preise und Menge etwas stabilisiert: Durchschnittlich vier Euro erzielten die Erzeugermärkte vergangenes Jahr pro Kilogramm Erdbeeren (Vorjahr: 3,26 Euro), das entspricht dem Kilopreis des Jahres 2021. Die Genossenschaften vermarkteten 6.400 Tonnen, ein Plus von 400 Tonnen oder sieben Prozent. Der Umsatz erhöhte sich um knapp fünf Millionen Euro auf 25,2 Millionen Euro. Nach einem etwas verhaltenen Start im April aufgrund kühler Temperaturen verlief die Saison erfreulich. Dank einer stabilen Schönwetterphase entwickelten sich die Erdbeeren geschmacklich hervorragend, und die Verbraucher konnten sich über eine gute Qualität freuen. Ein ausgewogenes Angebot-Nachfrage-Verhältnis führte zu stabilen Preisen.
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Spargel: Leichte Konsolidierung nach historisch niedrigem Absatz
Nach dem historisch niedrigen Absatzniveau im Jahr 2022 (3.900 Tonnen) haben die Genossenschaften im vergangenen Jahr mit 4.100 Tonnen sieben Prozent mehr Spargel vermarktet. „Die starke Verunsicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Inflation hat sich jedoch auch in der Spargelsaison 2023 bemerkbar gemacht“, erklärt Theileis. Außerdem gab es witterungsbedingt im März und April ein kleineres Angebot, sodass die Erntemenge 2023 insgesamt niedriger ausfiel. Von den Absatzmengen vor der Corona-Pandemie mit weit über 5.000 Tonnen waren die Genossenschaften im Jahr 2023 noch weit entfernt. Der durchschnittliche Kilopreis lag 2023 mit 5,93 Euro höher als im Vorjahr (5,49 Euro), in Summe erhöhte sich der Gesamtumsatz um 16 Prozent auf 24,5 Millionen Euro (Vorjahr: 21,2 Millionen Euro). „Die Qualität der Spargelstangen war gut, und es gab keine Übermengen. Damit herrschte eine solide Preisstabilität“, resümiert Theileis.
Zur aktuellen Situation:
Rechtzeitig zu Ostern dürfte der erste Freiland-Spargel verfügbar sein. Die nasse Witterung der vergangenen Wochen habe zwar zu Verzögerungen geführt, dafür wirke sich der milde Winter und der sonnige Herbst 2023 positiv auf das Spargelwachstum aus.
Gartenbaugenossenschaften
Die Folgen der hohen Inflation spüren auch die Gartenbaugenossenschaften in Baden-Württemberg, die rund 30,1 Millionen Euro Umsatz erzielten, ein Minus von knapp fünf Prozent (Vorjahr: 31,54 Millionen Euro).
Theileis: Große Kluft zwischen Kostensteigerungen und Erlösen
„Die Erzeugerinnen und Erzeuger und die Genossenschaften mussten viel Arbeit investieren. Die Witterungsbedingungen waren das gesamte Jahr äußerst herausfordernd“, so Theileis. Nach einem kühlen Jahresbeginn mit wenig Sonneneinstrahlung wechselten sich das ganze Jahr über heiße, trockene Phasen mit extremen Niederschlägen und teilweise sogar Überflutungen ab. Unterm Strich schaut die baden-württembergische Obst- und Gemüsewirtschaft jedoch bis auf die Äpfel auf eine gute Ernte mit weitestgehend sehr guten Qualitäten. Theileis: „Dies stellt einmal mehr unter Beweis, wie leistungsfähig die baden-württembergischen Obst- und Gemüsebauern und unsere Genossenschaften sind. Dass sich die Erzeugerbetriebe und Genossenschaften trotz insgesamt solider Vermarktungsmengen und leicht gesteigerter Umsatzzahlen in einer teilweise prekären wirtschaftlichen Situation befinden, zeigt wie groß die Kluft zwischen Kostensteigerungen und Erlösen ist.“
Quelle: Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband
Veröffentlichungsdatum: 22. März 2024