Braucht es ein Exportverbot für Pflanzenschutzmittel, die aufgrund ihrer gesundheits- und umweltschädlichen Wirkung in der EU nicht zugelassen sind? Die Ampel hat ein solches Exportverbot zwar im Koalitionsvertrag vereinbart, konnte sich aber seit Mai 2023 auf eine entsprechende Verordnung nicht einigen.
Das Urteil der Sachverständigen fiel am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ähnlich geteilt aus: Drei der fünf Experten sprachen sich für ein Verbot aus, zwei dagegen.
Gegen ein Verbot wandte sich Frank Gemmer, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar, der die Interessen der deutschen Hersteller von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln vertritt.
Er verwies auf den Nutzen der Pflanzenschutzmittel, die Kulturpflanzen vor Krankheiten, Schädlingen und Unkräutern bewahrten und zudem dem Vorratsschutz dienten. Pflanzenschutzmittel leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherung sowie zur Reduzierung von Treibhausgasen beim Pflanzenbau.
Sie seien hilfreich, um den weltweit steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken, sagte Gemmer. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehe von einer Verdopplung des Bedarfs bis 2050 aus.
„Deshalb muss die Politik den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ermöglichen“, forderte er. Weitere Einschränkungen des Exports brauche es nicht, schon heute sei er auf EU-Ebene streng geregelt.
Ein Export in ein bestimmtes Land sei ohne dessen Billigung gar nicht möglich. „Wir werfen das nicht mit Fallschirmen ab“, betonte der Sachverständige. „Lokale Behörden bekommen umfassende Informationen wie die Chemikalien sicher gelagert, transportiert, genutzt und entsorgt werden können.“
Ein Großteil der Exporte gehe in Länder wie USA, Japan und Kanada, die über ein strenges Zulassungsverfahren verfügten, sowie in Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien. Nur 0,5 Prozent der Gesamtmenge würden in Entwicklungsländer exportiert.
Von einer Begrenzung der Exporte von Pestiziden riet auch Harald von Witzke, emeritierter Professor für internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin, ab. In seiner schriftlichen Stellungnahme warnt er unter anderem vor der Abwanderung der Produktion aus Deutschland in andere Länder.
Der Effekt auf den Einsatz in anderen Teilen der Welt sei sehr begrenzt, noch dazu gingen Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Mit einem Exportverbot würde sich die EU außerdem dem Vorwurf aussetzen, „neokoloniale Politik“ zu betreiben.
Als Lösung favorisiert von Witzke dagegen neue molekulargenetische Methoden. Damit könnten Nutzpflanzen gezüchtet werden, die widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge aber auch gegen Trockenheit, Hitze oder Staunässe - ein Beitrag zu höheren uns sicheren Erträgen.
Für ein Exportverbot sprach sich Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland aus. Die aktuell 52 von der EU nicht zugelassenen Wirkstoffe seien allesamt entweder als krebserregend, erbgutschädigend oder reproduktionstoxisch klassifiziert, erklärte der Toxikologe.
In Ländern des Südens komme es bei Beschäftigten in der Landwirtschaft häufig zu unbeabsichtigten, akuten Pestizidvergiftungen. Eine von der FAO in Vietnam und Kambodscha durchgeführte Studie habe Vergiftungsraten von über 50 Prozent belegt, in einer weiteren, vom Pestizid-Hersteller Syngenta finanzierten Studie in 24 Ländern habe die Rate bei über 25 Prozent gelegen.
Es sei ein großer Widerspruch, dass Wirkstoffe, die in der EU zum Schutz der Umwelt und Gesundheit verboten seien, dort, wo eine höhere Pestizidexposition großer Teil der Bevölkerung die Regel ist, weiterhin vermarktet würden, so Clausing in seiner schriftlichen Stellungnahme.
Ein deutsches Exportverbot wäre ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem überfälligen globalen Verbot von hochgefährlichen Pestiziden, für das sich auch die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) im Mai 2024 mit einer Resolution ausgesprochen habe.
Noch deutlicher wurde Alan Tygel, Mitglied der brasilianischen Dauerkampagne gegen Pestizide und für Leben, in seinem Appell an Deutschland, den Export gefährlicher Pestizide zu unterbinden. Sein Land habe sich laut FAO-Statistiken zum größten Verbraucher von Pestiziden weltweit entwickelt.
2022 seien 800.000 Tonnen Pestizide ausgebracht worden. Eine Menge, die seit Jahren ebenso steige wie die Zahl der Vergiftungsfälle in Brasilien: 2019 seien laut brasilianischem Gesundheitsministerium knapp 8.400 Fälle gezählt worden, darunter auch viele Kinder.
Tygel hielt Deutschland und deutschen Herstellern vor, doppelte Standards anzulegen. Während eine Reihe von Pestiziden der deutschen Firmen Bayer und BASF aufgrund ihrer gefährlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in der EU verboten sei, würden sie dennoch in Länder des Globalen Südens und auch nach Brasilien verkauft.
Diese Politik sei nicht nur unmoralisch, sondern basiere oft auch auf falschen Argumenten, sagte der Sachverständige. Brasilien praktiziere zum Beispiel keine „tropische Landwirtschaft“, die die in der EU verbotenen Pestizide erfordere.
Silke Bollmohr vom Inkota-Netzwerk für Welternährung und Globale Landwirtschaft kritisierte ebenfalls den Export dieser Pflanzenschutzmittel: Der Einsatz gesundheits- und umweltschädlicher Pestizide gefährde Millionen Menschen im globalen Süden, da diese Stoffe dort oft unter schwächeren Schutzauflagen und bedenkenlos angewendet würden, erklärte Bollmohr. Bereits degradierte Böden und Gewässer würden weiter verschmutzt und für die Nahrungsmittelproduktion entscheidende Bestäuber gefährdet.
Auch für Verbraucher bestehe durch mit Pestizidrückständen belastete Lebensmittel ein Risiko. Nicht selten kämen sie als Importware auch nach Deutschland. Neueste europäische Rückstandsdaten belegten die Existenz von 69 in der EU verbotenen Pestizide in Nahrungsmitteln. Bollmohr erinnerte daran, dass sich Deutschland international verpflichtet habe, gefährliche Chemikalien aus dem Verkehr zu ziehen.
Sie bedauerte, dass eine geplante Regelung für ein Exportverbot in Deutschland nicht umgesetzt worden sei. Dabei bedeute ein Exportverbot nicht ein „Verbot alle Pestizide“, wie die Expertin betonte, sondern einen Schritt hin zu sicheren und nachhaltigen Alternativen.
Quelle: Deutscher Bundestag
Veröffentlichungsdatum: 18. November 2024