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Schweiz: Im Hofladen behalten die Bauernfamilien die Wertschöpfung in den eigenen Händen

23. September 2024

Direktvermarktung im Hofladen ist in der Schweizer Landwirtschaft eine Nische mit nur 5 Prozent am Gesamtertrag. Für innovative Landwirtschaftsbetriebe an günstiger Lage hat der Hofladen grosses Potenzial – aber auch hohe bürokratische Hürden. Eine Motion zur Stärkung der Direktvermarktung wird der Ständerat am 23. September 2024 beraten, berichtet der Landwirtschaftliche Informationsdienst (LID). 

Wenn man Umfragen glaubt – und das ist selten eine gute Idee – dann kaufen 52 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer regelmässig in einem Hofladen ein. 19 Prozent der befragten jungen Familien shoppen sogar mindestens einmal pro Woche beim Bauern ihres Vertrauens.

«Die Antworten der KonsumentInnen sind weit von der Realität entfernt», ordnet Sandra Helfenstein diese Umfrage ein. Die Kommunikationsleiterin des Schweizer Bauernverbandes (SBV) schätzt den «Anteil der Direktvermarktung am Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft von jährlich 11 Milliarden Franken auf rund 7 Prozent. Wobei bevölkerungsreiche und stadtnahe Regionen im Vorteil sind.»

«Wer hauptsächlich von der Direktvermarktung leben will, muss seinen Betrieb voll darauf ausrichten und hochprofessionell ans Werk gehen», betont Sandra Helfenstein. Denn die Direktvermarktung im Hofladen und an Wochenmärkten ist sehr arbeitsintensiv.


Judith und Martin Frei, Hof Rinderbrunnen. (Foto © LID)

Der Hof Rinderbrunnen als Beispiel für eine professionelle Direktvermarktung

Ein Beispiel für die professionelle Direktvermarktung in einer bevölkerungsreichen und stadtnahen Region findet man in Grüt ZH. In der Mitte zwischen Uster, Wetzikon, Hinwil und Gossau ZH steht der Hof Rinderbrunnen. Aus keiner Richtung sind es mehr als sieben Kilometer zum Hofladen, der direkt an der Hauptstrasse steht.

Der 29 Hektaren grosse Landwirtschaftsbetrieb – «nur gerade es bitzeli grösser als der Schweizer Durchschnitts-Bauernhof» – wird seit 2023 in vierter Generation von Judith und Martin Frei mit einem grossen Team geführt. Nach einer Erstausbildung als Umweltnaturwissenschafterin (Judith) und Betriebswirt (Martin) sind heute beide gelernte Landwirte.

Der Betrieb ist in Umstellung zur Bio-Landwirtschaft und darf ab 2025 das Knospe-Label von Bio Suisse tragen. Was den Hof Rinderbrunnen aber auszeichnet, ist die Kombination einer naturnahen und tiergerechten Produktion auf der einen Seite und einer extremen Diversifizierung und Kundenorientierung auf der anderen Seite.

Diversifizierung ist für den Hof Rinderbrunnen ein Erfolgsmodell

Mit der starken Diversifizierung haben sich Judith und Martin Frei neue Einnahmequellen geschaffen. So können sie auch Schwankungen der verschiedenen Betriebszweige besser ausgleichen. In Zeiten von sinkenden Produzentenpreisen und hohen Ernte-Einbussen durch den Klimawandel ein wichtiges Argument.

  • Die 500 Legehennen stammen von einer Zweinutzungs-Rasse. Mit einem «Hahn & Ei»-Abonnement erhält man die Eier einer Legehenne (monatlich rund 20 Eier) und einmalig den Hahn als Pouletfleisch.
  • Die Mutterkühe der Galloway-Rasse weiden auf extensiven (ungedüngten) Naturwiesen und erhalten weder Kraftfutter noch Futterzusätze. Ihr Fleisch wird im Hofladen verkauft.
  • Die Schafe weiden ebenso auf extensiven Naturwiesen und werden komplett verwertet (Nose to Tail). In Mischpaketen erhält man ein ganzes Lamm, die Hälfte oder ein Viertel vom Lamm.
  • Aus dem angebauten Weizen und Dinkel wird Mehl für den Direktverkauf produziert. Im Hofladen besonders beliebt ist der Hafer in Form des hauseigenen Knuspermüesli und neu als Haferdrink.
  • Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen und Lupinen kommen direkt vom Acker in den Hofladen, wo auch eigenes Raps-Öl verkauft wird.
  • Eine Vielzahl verschiedener Gemüsesorten wird im Hofladen angeboten. Wer ein «Selbsternte-Beet» mietet, kann zudem ein Gartenjahr lang sein Gemüse selbst hegen, pflegen und ernten.
  • Der Obstgarten liefert verschiedene Sorten von Tafeläpfeln, Mostäpfeln und Birnen von Hochstamm-Bäumen. Den Most kann man im Hofladen selbst abfüllen.
  • Das Blumenfeld bringt Blumensträusse für den Hofladen oder Blumen-Abonnements hervor. Wer möchte, kann seine Schnittblumen selber pflücken.


Der Hofladen des Hofes Rinderbrunnen. (Foto © LID)

Judith und Martin Frei haben erst 2022 mit der Direktvermarktung im Hofladen begonnen. Nachdem sich der Erfolg abzeichnete, bauten sie den früheren Kuhstall der Grosseltern direkt an der Hauptstrasse zu einem grosszügigen Hofladen im Chalet-Stil um. Seit Mai 2024 gehen hier die Kundinnen und Kundenn aus der Region ein und aus.

Die konsequente Direktvermarktung im Hofladen hat für Judith und Martin Frei fünf Vorteile:

  • Sie profitieren von der Nachfrage nach regionalen Produkten.
  • Sie können ihre Produktpalette ohne Vorgaben des Detailhandels selbst bestimmen und eigene Spezialitäten und saisonale Erzeugnisse anbieten.
  • Sie können die Qualität und Frische selbst kontrollieren, was für KonsumentInnen ein Kaufkriterium ist.
  • Sie können den Endpreis selbst festlegen und damit ohne Zwischenhändler höhere Einnahmen erzielen.
  • Sie können eine persönliche Beziehung zu ihren Kunden aufbauen, Vertrauen schaffen und auf individuelle Wünsche eingehen.

Der Hof Rinderbrunnen setzen deshalb voll auf die Direktvermarktung. «Wir wollen die Hälfte unseres Einkommens im Hofladen erzielen – und bauen deshalb die Direktvermarktung noch weiter aus», erklärt Judith Frei.

Ihr langfristiges Ziel ist es, die eigenen Produkte vorwiegend über den Hofladen zu vermarkten. «Der Hofladen ist unser Hauptbetriebszweig und soll deshalb in Zukunft auch einen Hauptteil unseres Einkommens ausmachen.»

Ein Ziel, das Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband als realistisch einschätzt, «wenn man es schafft, einen genügend grossen Kundenstamm aufzubauen und zum Beispiel grössere Abnehmer wie Restaurants in der Region findet».


Stefan Flückiger, Geschäftsführer von Faire Märkte Schweiz FMS und Initiant des Projektes «lokal + fair». (Foto © LID)

«lokal + fair» statt nur hohe Margen für Verarbeiter und Detailhandel

Eine Stärkung der Direktvermarktung, dieses Ziel hat der 2023 gegründete Verein Faire Märkte Schweiz (FMS). Bisher setzte sich FMS für Transparenz und gegen Wettbewerbsverzerrungen in der Schweizer Ernährungswirtschaft ein. Faire Margen nicht nur für Verarbeiter und Detailhandel, sondern auch für die Landwirtschaftsbetriebe.

Denn die LandwirtInnen erhalten nur noch 30 Rappen von jedem für Schweizer Landwirtschaftsprodukte ausgegebenen Franken. Im Jahr 1990 waren es noch 45 Rappen. Die Bauernfamilien tragen das gesamte Risiko, den Gewinn machen Verarbeiter, Detailhandel und Discounter.

Das neue Projekt «lokal + fair» des Vereins Faire Märkte Schweiz will dafür sorgen, dass die lokalen Landwirtschaftsbetriebe fair für ihre Produkte entschädigt werden. Es soll deren Absatz fördern und den KonsumentInnen die Wichtigkeit des lokalen, direkten und fairen Konsums bewusst machen.

Die Website von «lokal + fair» präsentiert über 30 Partnerbetriebe und Gemeinden: 20 Landwirtschaftsbetriebe vor allem im Kanton Zürich sowie einige Molkereien und Metzgereien, Winzer und Restaurants sowie eine Kaffeerösterei.

Am ersten Nationalen Direktvermarktungstag am 14. September 2024 präsentierten sich einige dieser Betriebe in Uster und Stäfa. Diese zwei Zürcher Gemeinden beteiligen sich seit der Lancierung am Projekt «lokal + fair».

Wie viele Plattformen braucht die Direktvermarktung?

«lokal + fair» ist nicht die erste und schon gar nicht die einzige Plattform für die Direktvermarktung lokaler Landwirtschaftsprodukte. In den letzten Jahren entstand eine ganze Reihe solcher Plattformen (in chronologischer Reihenfolge):

  • «Culinarium» in Kombination mit dem regio.garantie-Gütesiegel (seit 2000 mit 500 Restaurants und Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz)
  • «Vom Hof», Online-Plattform des Schweizer Bauernverbandes SBV (seit 2012 mit über 3000 Landwirtschaftsbetrieben)
  • «Farmy», Online-Hofladen (seit 2014)
  • «Biomondo», Online-Marktplatz von Bio Suisse (seit Mai 2021 mit 2916 Bio-Landwirtschaftsbetrieben, darunter 515 mit Hofladen und 50 mit Gastgewerbe)
  • «Vom Milchbuur», Online-Plattform von Swissmilk (seit 2018 mit 588 Landwirtschaftsbetrieben)
  • «Rüedu», Quartier-Hofladen (seit 2020)
  • «lokal + fair» (seit Sommer 2024 mit 20 Landwirtschaftsbetrieben)

Dazu kommen die Online-Plattformen der kantonalen Bauernverbände und von Fachverbänden wie dem Obstverband, die auf der SBV-Plattform «Vom Hof» basieren. Weitere Plattformen gibt es von Naturpärken, Agrotourismus- und Regio-Projekten sowie lokalen Initiativen.

Der Initiant von «lokal + fair», Stefan Flückiger, war im Jahr 2000 selbst Gründungs-Geschäftsführer der Regionalmarke «Culinarium». Wieso braucht es zusätzlich zu den bestehenden Plattformen noch «lokal + fair»?

«Über lokal+fair werden keine Produkte verkauft, sondern lokale Produzenten erhalten mehr Aufmerksamkeit und Reichweite. Damit ergänzt lokal+fair bestehende Initiativen. Wir legen neben der Partizipation den Fokus auf Information und Sensibilisierung der KonsumentInnen», erklärt Stefan Flückiger.

«Von der Landwirtschaft über das verarbeitende Gewerbe bis zum lokalen Detailhandel und der Gastronomie sollen alle Beteiligten möglichst hohe Wertschöpfungsanteile erreichen. Und die Gemeinden sollen ihre Verantwortung als Ermöglicher von lokalen Netzwerkaktivitäten und Förderer der lokalen Produkte wahrnehmen», betont Flückiger.


Verkaufsstand am ersten Nationalen Direktvermarktungstag im September 2024 in Stäfa ZH. (Foto © LID)

Innovative Betriebe verzweifeln oft an der Bürokratie für Hofläden

Oft scheitert die Eröffnung eines Hofladens aber an den gesetzlichen Regelungen. Nationalrätin Meret Schneider reichte deshalb 2022 eine Motion ein, die vom Bundesrat eine Stärkung der Direktvermarktung fordert.

«Einige Regelungen für Hofläden tönen wie schlechte Scherze», erklärt Meret Schneider. So steht ein Bauernhof naturgemäss in der Landwirtschaftszone. Die Verarbeitung von eigenen Produkten wie Getreide und Kartoffeln ist aber nur «bis zur ersten Verarbeitungsstufe zonenkonform».

  • Die Bauernfamilien dürfen ihr Getreide zu Mehl mahlen. Sie dürfen daraus aber kein Bauernbrot backen.
  • Die Bauernfamilien dürfen ihre Kartoffeln waschen und rüsten. Sie dürfen daraus aber keine Pommes-Chips backen.

Geradezu absurd wird es, wenn der Bundesrat im Bericht zur künftigen Agrarpolitik über die Vorteile vom Direktverkauf schreibt, dass es im Hofladen «keine Normierung der Produkte» brauche. Gleichzeitig fordern die Gesetze aber genau diese Normierung.

Auf den Etiketten für den Süssmost von hofeigenen Äpfeln und Birnen darf zum Beispiel nicht stehen, dass dieser keinen zusätzlichen Zucker enthält und frei von Konservierungsstoffen ist. Obwohl dies von den Kundinnen und Kunden immer wieder gefragt wird.

Der Hinweis «kein zusätzlicher Zucker und frei von Konservierungsstoffen» darf nur zusammen mit einer Nährwert-Tabelle auf den Etiketten stehen. Und für diese Nährwert-Tabelle müsste die Bauernfamilie eine Süssmost-Probe in ein spezialisiertes Labor senden, was mit hohen Kosten verbunden wäre.

Damit innovative LandwirtInnen mit ihrem Hofladen nicht an der Bürokratie scheitern, hat der Nationalrat die Motion zur Stärkung der Direktvermarktung im März 2024 angenommen. Der Ständerat wird die Motion am 23. September 2024 beraten.

 

Quelle: LID.ch

Veröffentlichungsdatum: 23.09.2024

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